Schukey-Motor: Klimaanlage arbeitet komplett ohne Chemie - DER SPIEGEL

2023-03-16 16:32:26 By : Mr. Tom Yang

Revolutionäre Klimaanlage: Voll cool, ey!

Die gute Fee, die einem drei Wünsche gewährt, gab es bislang nur im Märchen. Jetzt tritt sie erstmals im Motorenbau auf. Wunsch eins: Eine Kältemaschine, die ohne Kältemittel funktioniert. Wunsch zwei: Diese Kältemaschine darf nicht mehr kosten als herkömmliche Klimakompressoren. Wunsch drei: Sie muss zuverlässig und effektiv arbeiten. Und schwuppdiwupp, es gibt so eine Maschine - sie funktioniert ausschließlich mit Luft.

Erfunden hat sie der inzwischen verstorbene Ingenieur Jürgen Schukey bereits Anfang der neunziger Jahre. Schukey entwickelte und konstruierte eigentlich Kunststoffspritzwerkzeuge und grübelte als Nebenbeschäftigung über einen neuen Antriebsmotor nach. Der engagierte Atomkraftgegner ersann dabei eine Maschine, die Abwärme als Antriebsenergie nutzt und auf diese Weise einfach und umweltfreundlich Strom produzieren kann: Er nannte das Gerät Delta-Omega-Motor. Das Konzept der Maschine basiert auf dem physikalischen Gesetz, dass sich Luft erhitzt, wenn sie verdichtet wird, und abkühlt, wenn sie expandiert wird.

"Heute heißt das Ding Schukey-Motor, damit der Erfinder nicht in Vergessenheit gerät", sagt der Hamburger Unternehmer Reinhard Kupfernagel. Er war lange Jahre mit Schukey befreundet und geschäftlich verbunden. Inzwischen treibt Kupfernagel mit seinem Geschäftspartner Volker Bergholter in der zu diesem Zweck gegründeten Firma Thermodyna die Serienentwicklung des Schukey-Motors voran. Für den Einsatz als Kältemaschine im Auto wäre der geradezu ideal: Er wäre weder größer oder schwerer, noch teurer als ein herkömmlicher Klimakompressor. Er ist sehr robust, weil von den etwa 50 Bauteilen lediglich 16 beweglich sind. Er arbeitet mit einem Wirkungsgrad von mehr als 90 Prozent.

Ein Geschenk des Himmels mit zwei Rotoren?

Der Schukey-Motor müsste der Autoindustrie wie ein Geschenk des Himmels vorkommen, denn seit Mercedes-Benz vor wenigen Wochen verkündet hat, das neue Kältemittel R1234yf nicht mehr in Fahrzeug-Klimaanlagen einzusetzen, herrscht herstellerübergreifende Ratlosigkeit. Bei Tests hatte sich die Chemikalie im Motorraum entzündet, in der Folge war hochgiftige Flusssäure entstanden. Die Problematik war seit Jahren bekannt, wurde jedoch von den Protagonisten ignoriert, denn R1234yf war von der Autoindustrie einhellig als Ersatzstoff für das extrem klimaschädliche R134a ausgewählt worden - mutmaßlich beträchtlich unterstützt durch Lobbyarbeit des Herstellers Honeywell.

Nachdem Mercedes jetzt die besorgniserregenden Testergebnisse veröffentlichte, ist R 1234yf eine Substanz non grata, die Industrie blamiert und kein brauchbares Kältemittel in Sicht.

Das macht den Ansatz des Schukey-Motors, der ganz ohne Chemie auskommt, umso charmanter. Das Prinzip ist verblüffend einfach: In einem runden Gehäuse rotieren zwei ineinandergreifende, vierflügelige Propeller, so dass acht in der Größe variable Kammern entstehen. Die Propeller werden über spezielle Getriebe so bewegt, dass ihre Geschwindigkeit wellenartig zu- und abnimmt, so dass sich das Volumen der Kammern jeweils achtmal je Umdrehung vergrößert und verkleinert. Die Luft in diesen Kammern wird also abwechselnd expandiert und komprimiert und kann an exakt definierten Stellen einströmen oder entweichen.

Setzt man den Schukey-Motor als Wärme-Maschine ein, dient heiße Abluft - zum Beispiel von einem Verbrennungsmotor - als Antriebsenergie; das Aggregat produziert dann aus Abwärme Strom. "Diese Technik könnte in Schiffen zu erheblichen Effizienzsteigerungen führen", sagt Kupfernagel. In Autos hingegen könnte der Schukey-Motor als Kältemaschine eingesetzt werden.

Ein Beispiel für die Funktionsweise: An einem heißen Sommertag strömt 35 Grad warme Luft aus dem Autoinnenraum in die - für diesen Einsatzzweck elektrisch angetriebene - Maschine. Die Luft wird komprimiert, dadurch noch stärker erhitzt, auf 120 Grad etwa, und durch einen Kühler geleitet. Der kühlt mit Umgebungsluft, die in diesem Fall 35 Grad warm ist. An dieser Stelle kommt ein wenig Thermodynamik ins Spiel, nämlich der Grundsatz: je größer der Temperaturunterschied, desto höher die Kühlleistung.

Man kennt das aus dem Alltag: Wird bei frostigem Winterwetter das Zimmerfenster geöffnet, wird es sehr rasch sehr kalt in der Wohnung. Wenn im Kühler 35 Grad herrschen und 120 Grad heiße Luft einströmt, ist der Effekt ähnlich: Es findet ein Wärmeaustausch statt, die Luft kühlt rasch auf etwa 70 Grad ab. Und diese gekühlte Luft strömt nun zurück in den Schukey-Motor, wird dort wieder expandiert, damit nochmals abgekühlt und tritt mit etwa sieben Grad aus. Die Folge: Die Temperatur im Autoinnenraum sinkt, der Kühleffekt ist da.

Kühlleistung und Temperatur können stufenlos geregelt werden

"Der Wirkungsgrad ist mit dem eines herkömmlichen Klimakompressors vergleichbar", sagt Kupfernagel. Die Kühlleistung könne über die Drehzahl geregelt werden, die sich stufenlos von null bis 3000 Umdrehungen pro Minute variieren lasse; und auch die gewünschte Temperatur lasse sich über Steuerkanten an den Ein- und Auslassöffnungen der Maschine sehr genau regeln.

Im Testbetrieb läuft der Schukey-Motor derzeit auf einem Prüfstand der Hochschule Hannover, unter der Aufsicht von Ulrich Lüdersen, Professor für Verfahrenstechnik. "Die Maschine funktioniert", sagt er, "und sie ist auch als Kältemaschine in einem Auto geeignet." Besonders effektiv wäre es, würde man zwei Schukey-Motoren als Hybridkältemaschine einsetzen. Der eine Motor würde die Abwärme des Verbrennungsmotors zur Stromerzeugung nutzen, der andere den erzeugten Strom zur Kühlung.

Dafür allerdings reiche es nicht, "wenn man einfach nur den alten Klimakompressor durch einen Schukey-Motor ersetzt, dann müssen auch Drumherum ein paar Dinge verändert werden", sagt Lüdersen. Von heute auf morgen gehe so etwas nicht, zumal in der Autoindustrie jede Veränderung einen Schwanz an Normierungen, Tests und Freigaben nach sich ziehe. Lüdersen: "Der Prototyp für eine Schukey-Auto-Klimaanlage könnte in spätestens drei Jahren fertig sein." Im Prinzip hänge es davon ab, wie groß das Interesse der Autoindustrie ist.

Kaum Interesse bei deutschen Herstellern

Das ist die große Frage. Mercedes-Benz und BMW betrachten ein Kältemittel-freies Klimaaggregat skeptisch. Mercedes sagt SPIEGEL ONLINE, der Schukey-Motor habe "erhebliche Effizienznachteile", BMW führt den "noch zu geringen technischen Reifegrad" an.

Dabei hätten die Münchner schon vor zwanzig Jahren die Chance gehabt, den Schukey-Motor nach eigenen Vorstellungen reifen zu lassen. Damals nämlich - das Kältemittel FCKW war kurz zuvor verboten worden - hatten Schukey und Kupfernagel Kontakt zu BMW aufgenommen, um die ohne chemisches Kältemittel funktionierende Maschine vorzustellen. "BMW zeigte sich anfangs sehr interessiert", erinnert sich Kupfernagel, "dann jedoch wurde das Projekt abrupt gestoppt." Auch mit Opel blieben Gespräche damals ergebnislos.

Erst zwei Jahre ist es her, da zeigte sich VW am Schukey-Motor interessiert, doch Konkretes ergab sich auch daraus nicht. Jetzt, nachdem der Karren durch den Daimler-Boykott des neuen Kältemittels vollends im Dreck steckt, meldet sich plötzlich VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech zu Wort und postuliert: "Das richtige Kältemittel ist CO2. Das brennt garantiert nicht."

Dafür jedoch fliegt eine CO2-basierte Klimaanlage den Autoinsassen womöglich um die Ohren. Denn wenn Kohlendioxid als Kältemittel eingesetzt werden soll, ist ein Druck von 100 bar nötig. Das bedeutet eine extreme Belastung für alle Bauteile, und ein gewisses Risiko bei Materialermüdungen oder einem defekten Ventil. Der Schukey-Motor arbeitet hingegen mit einem Druck von weniger als drei bar. Und selbst wenn die Ingenieure den Druck zuverlässig bändigen würden - die nötigen Entwicklungsarbeiten und Sicherheitstests würden viel Geld kosten und Jahre dauern. "CO2-Klimaanlagen liegen nirgendwo fertig im Regal", sagt ein Mercedes-Sprecher.

Während die Autoindustrie zaudert, treibt die Firma Thermodyna die Entwicklung der Schukey-Technik in Eigenregie voran. Im nächsten Jahr soll ein stationärer Prototyp auf einem Bauernhof in Niederösterreich in Betrieb gehen und dort mehrere Gebäude klimatisieren. Aktuell gibt es vier Schukey-Motoren, das ausgereifteste Modell läuft auf dem Prüfstand in Hannover. Erst kürzlich war dort eine Delegation des koreanischen Autoherstellers Hyundai zu Besuch, um einen langen Fragenkatalog abzuarbeiten, wie ein Anwesender berichtet. Wer weiß - womöglich ist das erste Auto mit chemiefreier Klimaanlage ein Fabrikat aus Fernost.

Schukey-Motor: Ein Blick in die geöffnete, zentrale Kammer des Schukey-Motors, in dem zwei Propeller mit ineinander verschränkten Flügeln (gelb und rot voneinander abgesetzt) mit wechselnden Geschwindigkeiten rotieren, so dass die acht Kammern zwischen den Rotorflügeln abwechselnd größer und kleiner werden.

Erfinder Schukey: Das Foto zeigt Jürgen Schukey (rechts) mit einem seiner damaligen Mitarbeiter. Schukey konstruierte im Hauptberuf Kunststoffspritzwerkzeuge und erfand quasi nebenher einen neuen Motor. Er verstarb im vergangenen Jahr.

Auf dem Prüfstand: Das Foto zeigt einen Schukey-Motor mit einem Volumen von acht Litern sowie diverse Zusatzaggregate auf dem Prüfstand der Hochschule Hannover.

Die vier Grafiken beschreiben das Funktionsprinzip eines Schukey-Motors, wenn er als Kraft-Wärmemaschine eingesetzt wird. Dabei wird heiße Abluft - etwa die eines Schiffsdieselmotors - zum Antrieb der beiden Rotoren genutzt, die sich innerhalb des Gehäuses in wechselnden Geschwindigkeiten drehen. Die Drehbewegung kann dann in elektrische Energie umgewandelt werden - mit der zum Beispiel ein zweiter Schukey-Motor angetrieben werden kann, der dann als Kältemaschine dient.

Entwicklungsarbeit: Derzeit kümmert sich Professor Ulrich Lüdersen, der an der Hochschule Hannover Verfahrenstechnik, Anlagentechnik und Umwelttechnik lehrt, um die Weiterentwicklung des Schukey-Motors.

Kompakt und einfach: Ausgereift wird ein Schukey-Motor, der als Kältemaschine eingesetzt werden soll, nicht größer sein als ein Klimakompressor vergleichbarer Leistung. Er dürfte jedoch billiger werden, denn der Aufbau ist vergleichsweise schlicht und es gibt lediglich 16 bewegliche Bauteile. Kolben, Ventile oder Nockenwellen sind nicht vorhanden.

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